Im Schattbuch in Amtzell (zwischen Wangen und Ravensburg) fällt es einem nicht leicht, sich auf eine Speise festzulegen. Man würde am liebsten von allem kosten, was hier auf den Händen des galanten Serviceteams durch das Restaurant schwebt. Schon den Gruß aus der Küche möchte man am liebsten mit einer Umarmung erwidern. Er lässt die Spannung steigen, was hier alles überraschend kombiniert und neu interpretiert wird. So ist zum Beispiel im Schattbuch selbst Omas Suppentopf ein Spektakel. Denn was hier auf dem Teller serviert wird, sieht zunächst so gar nicht nach Suppe aus. Frech formiert steht das junge Gemüse bunt und knackig im Teller, sodass man kaum von einer Suppeneinlage sprechen kann. Erst im nächsten Schritt kommt die Auflösung: Aus einem eleganten gusseisernen Behälter, der aussieht wie eine chinesische Teekanne, fließt die aromatische Brühe langsam in den Teller. Man wagt es kaum, diese wundersame Ordnung zu stören – das wäre aber doch zu schade, denn die Suppe hält, was der Name verspricht. Mit dem ersten Löffel ist es da: das Gefühl von Heimat, selig, zufrieden, glücklich. Die nötige Extravaganz bringt die Ochsenschwanzpraline am Tellerrand, die außen knusprig und innen zart kurz in die Brühe getränkt auf der Zunge dahinschmilzt, wie man es von einer Praline erwartet.
Und dann ist da noch das US Rinderfilet „Greater Ohama“. Man kann sich fragen, ob das Fleisch nun unbedingt von einem anderen Kontinent kommen muss. Der erste Biss verleitet allerdings zu einem klaren Ja, denn dieses butterweiche, aromatische Fleisch zergeht auf der Zunge wie ich es selten erlebt habe. Die Artischocke gepaart mit Kalamata Olive und saftig frischem Spinat machen diese Komposition zu einem kulinarischen Hochvergnügen.
Was die Vorspeise verspricht, hält auch das Dessert. Das Aprikosensorbet erfrischt, prickelt, zergeht und macht glücklich. Besonders ist auch das rollende Käsebrett, auserwählt von Affineur Bernard Antony persönlich und serviert vom Restaurantleiter und wandelnden Käselexikon Christian Marz – ein Gedicht in 30 Sorten.
Fresh & fesch: Die Köche Sebastian Cihlars und Nico Lanz legen besonderen Wert auf einen nachhaltigen Einkauf und die Qualität der Lebensmittel – das spürt man. Dabei steht das Schattbuch mit seinem Michelin-Stern und 16 Punkten im Gault Millau zwar für gehobene Küche, aber kein abgehobenes Chichi. Bei aller Detailverliebtheit geht es hier herrlich unkompliziert und leger zu. Und das macht das Schattbuch so besonders: Denn auch wer Sterneküche genießt, will vergnügt sein. Und ein Vergnügen ist das Schattbuch allemal. Jedes Detail stimmt, jeder Moment ein Genuss. Für mich eine 1 mit Stern(chen).
Ins Sternerestaurant mit Kind? Im Schattbuch kein Problem. Hier thronen die Kleinen in einem Holzkinderstuhl von Leander, während sie die weltbesten Spätzle mampfen. Für einen schnellen Genuss ist der Mittagstisch auf der Terrasse mit Blick auf den Teich perfekt.
Das Restaurant ist übrigens Teil eines spannenden Konzepts: Ursprünglich „nur“ als Kantine für die Mitarbeiter und Kunden des Unternehmens fpt Robotik gedacht, hat sich das junge Team über die Jahre einen hervorragenden Ruf erkocht und vor einigen Jahren dann auch das erste Mal den Michelin-Stern, den es seitdem erfolgreich verteidigt. Das Schattbuch ist somit auch die wahrscheinlich einzige Sternekantine Deutschlands.
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